Krisenanzeichen im Krankenhauswesen

Schon vor dem Ausbruch von SARS-CoV-2 zeigten sich im Krankenhauswesen deutliche Schwachstellen, welche durch die Corona-Krise verstärkt wahrgenommen werden. So seien beispielweise die im Ländervergleich hinterherhinkende Digitalisierung, die Verbreitung von Krankenhauserregern sowie wirtschaftlicher Druck genannt. Besonders Letzterer lässt Politik und Gesetzgeber den Handlungsbedarf zur Sicherstellung effizienter stationärer Versorgungsstrukturen sowohl für den Normalbetrieb als auch für Krisenzeiten erkennen. Ebenso wichtig wie diese übergeordneten Einflüsse ist die Schaffung von Erkenntnissen und Handlungsparametern in der organisatorischen Einheit Krankenhaus selbst. Über alle Einheiten eines Klinikbetriebes muss wirtschaftliche Klarheit herrschen, um angemessen und so früh wie möglich Gegenmaßnahmen ergreifen zu können. Erste Krisenanzeichen lassen sich dann bedeutend früher erkennen und bieten so wesentlich mehr Handlungsalternativen – nicht zuletzt für eine mögliche Restrukturierung, wie untenstehend vertieft.

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Früherkennung von Krisenanzeichen

Eine möglichst tagesaktuelle Liquiditätsplanung, bei der alle aktuellen und zukünftigen Ausgaben und Einnahmen abgebildet sind, verdeutlicht schnell und transparent die finanzielle Situation. Im Vorfeld einer, in Kontoständen und wirtschaftlichen Auswertungen sichtbaren, wirtschaftlichen Verschlechterung, können aber bereits branchenspezifische Key Performance Indikators (KPIs) herangezogen werden, um eine sich anbahnende Schieflage zu identifizieren. Typischerweise werden die folgenden Benchmarks betrachtet:

  • Durchschnittliche Dauer eines Krankenhausaufenthaltes: Dieser Fakt allein, ermöglicht keinen Vergleich mit anderen Kliniken. Um aussagekräftig zu sein, muss diese Kennzahl weiter spezifiziert werden, denn in Abhängigkeit von der Erkrankung kann die Aufenthaltsdauer stark variieren. Eine Unterteilung der Behandlungen z. B. in solche mit oder ohne Operationen ermöglicht eine differenzierte Bewertung und bereits konkretere Maßnahmen zur Optimierung.
  • Durchschnittliche Behandlungskosten: Diese Kennzahl beeinflusst unmittelbar die wirtschaftliche Situation des Krankenhauses. Um Optimierungspotentiale zu identifizieren, ist es hilfreich, die Kosten z. B. in Altersklassen zu clustern. Entsprechend der Ergebnisse können Behandlungsmethoden oder die Anzahl medizinischer Geräte angepasst werden.
  • Wartezeiten: Lange Wartezeiten sind für Patienten nicht nur unangenehm, in der Notaufnahme können sie sogar über Leben und Tod entscheiden. Sind überdurchschnittlich hohe Wartezeiten an bestimmten Wochentagen oder auf bestimmten Stationen zu erkennen, müssen hier die Prozesse analysiert und optimiert werden.
  • Patientenzufriedenheit: Nicht nur eine schnelle Genesung beeinflusst die Zufriedenheit eines Patienten. Die Behandlung durch das ärztliche und das Pflegepersonal, die Verpflegung und eine kurze Wartezeit sind ebenfalls zu berücksichtigen. Mit einer Befragung der Patienten kann die Zufriedenheit permanent überwacht werden.
  • Erfassung von Komplikationen oder Infektionen: Dadurch wird die Qualität aller Gesundheitsleistungen überwacht und die Patientensicherheit gewahrt. Die Ursachen für Verunreinigungen mit Viren und Bakterien müssen identifiziert und beseitigt werden.
  • Erfassung der Wiedereinlieferungsquote: Diese Kennzahl ist elementar wichtig für die Gesamtbeurteilung einer Krankenhaussituation. So lässt eine hohe Wiedereinlieferungsquote u. a. auf Fehldiagnosen, überfordertes Pflegepersonal oder unzureichende Behandlung schließen.

Generell gilt für alle KPIs, dass eine Automatisierung bzw. Digitalisierung im Rahmen der Datenerfassung dringend angeraten ist. Sie erleichtert die regelmäßige Auswertung der Kennzahlen und ermöglicht rechtzeitiges Handeln.

 

Mögliche Optionen einer Restrukturierung

Bei der Restrukturierung eines Krankenhauses müssen der verwaltungsrechtliche Rahmen und das Spannungsfeld einzelner Interessen berücksichtigt werden. Dazu gehören neben Klinikpersonal, Patienten („Kasse“, „Privat“) und Patientenverbänden auch die lokale Politik und Krankenkassen. Nicht zuletzt ist auch eine oftmals kritische Öffentlichkeit im Entscheidungsprozess zu bedenken. Beispielhaft finden sich nachfolgend mögliche Anknüpfungspunkte im Rahmen einer Restrukturierung:

  • Spezifizierung

Neben dem Erhalt der grundsätzlichen Notfallversorgung empfiehlt sich die Konzentration auf einen medizinischen Schwerpunktbereich. In diesem Zusammenhang bietet sich die Kooperation mit Kliniken im Umkreis an. Partnerschaftliche Vermittlung nützt den einzelnen Krankenhausbetrieben langfristig mehr als ein hinderlicher Konkurrenzkampf. Eine Spezialisierung, einhergehend mit einer individuelleren Ansprache der Patienten, macht besonders kleinere Einrichtungen attraktiv für Privatpatienten.

  • Outsourcing

Fachfremde Leistungen, wie z. B. Reinigungsdienste, Essensversorgung, IT-Administration, können ausgelagert werden. Ein konsequentes Outsourcing aller nicht medizinischen Tätigkeiten hat nicht nur unter Kostengesichtspunkten Vorteile. Qualitäts-, Datenschutz oder Fluktuationsprobleme liegen vertraglich auch in der Verantwortung des Dienstleisters, der als Spezialist auf seinem Gebiet generell bessere Qualität bietet.

  • Kontrolle der Lagerhaltung

Es gilt, die Balance zwischen ausreichender Verfügbarkeit und kurzer Lagerdauer zu finden. Eine hohe Lagerkapazität bindet zwar Kapital, ist im Bereich der Daseinsvorsorge aber unabdingbar, wie die aktuelle COVID19-Krise zeigt.

  • Investition in Finanzexpertise

Seit Einführung der Fallzahlenpauschale, sogenannten DRGs (Diagnosis Related Groups), die die Höhe der Vergütung von Leistungen pro stationärem Behandlungsfall festlegt, ist die Zahl der DRGs auf über 1.300 gewachsen. Dazu kommen unterschiedliche Basisfallwerte sowie Zusatzentgelte, die in einem jährlichen Katalog veröffentlicht werden, und zu einem komplizierten Abrechnungssystem führen. Auch wenn die Abrechnung computergestützt und teilautomatisch erfolgt, ist eine kompetente Abrechnungsexpertise obligatorisch. Besonders kleinere Einrichtungen laufen Gefahr, hier viel Geld liegen zu lassen bzw. sich in einer rechtlichen Grauzone zu bewegen. Unbestritten ist, dass die pauschalisierte Abrechnung einer grundlegenden Überarbeitung bedarf.

  • Überprüfung von Hygienestandards

Durch jegliche Art von Erregern entstehen in Krankenhäusern diagnostische und therapeutische Mehraufwände.- Es kommt zu Blockierungen von Krankenhauszimmern, gegebenenfalls sogar Stationsschließungen sowie direkten Kosten für verlängerte Krankenhausverweildauern. Diese Kostenfaktoren werden jedoch nur unzureichend im DRG-System abgebildet und führen zu Erlösverlusten. Die Reorganisation von Kernprozessen kann dazu beitragen, Kontakte zu vermeiden und Ansteckungen zu verhindern.

Was bei den meisten Patienten längst gängige Praxis ist, muss im übertragenen Sinn auch im Krankenhaus gelebt werden: Vorsorge und Früherkennung, regelmäßige Bewegung und Kontrolle, und die Konsultation von Fachspezialisten kann lebensverlängernd sein.

von Till Mönig | erschienen in Sanierung & Restrukturierung-Online Heft 5